Erst um sieben Uhr raßelte mich der der Blechwecker aus dem Schlaf. Montag, so Anfang April. Nach Kaffe, Brötchen und Zeitungspflicht will mein Koffer mit mir auf den beschwerlichen Weg. Und das alles eine Stunde später als gewöhnlich! Na wenn diese Woche nicht gut anfängt!

Treffpunkt Hauptportal, 9 Uhr. Diesmal gab es keinen unerwarteten Unfall der Verdrußlinie 21. Und die sonst üblichen Staus sind für diesen riesigen Tag sind auch ausgeblieben: Alles auf die Minute pünktlich. Wirklich alles? Nein, einer fehlt, so um die 40 herum, der Lehrer. Dem Buspiloten ist es „wurscht und egal“. Dann halt ohne Leithammel. Schnell verliert sich unser Prachtgebäude aus dem Blickfeld. Mein Koffer freut sich, und ich erst Recht!

Das Anti-Streß-Programm kann beginnen. Ordentlich in Reihe und Glied erwarten wir die Instruktionen der „Hausoberen“: 14 Leut' Schlafsaal A, der Rest halt dann in B! Aus ist es mit der Ordnung, mein Koffer protestiert gegen diesen Flüchtlingslagerzustand am Meisten: Hinterhältig öffnet er seine vordere Naht, hat wohl Platzangst bekommen, der Arme.

Nach dern bayerischen Dankesworten an den Herrenin der Himmelsoberetage schlürfe ich ebenfalls in Richtung Lärm, in Richtung letztes Bett. Ausbreiten brauche ich meinen Krusch nicht mehr, der Schlafsack breitet sich im Nu auf dem Feldstahldrahtungeheuer aus, der Rest verschwindet im Untergeschoß meines Schlaflagers. Na wenigstens bin ich aus dem Pupilleneinzugsbereich.

Das Mittageßen läßt niemals lange auf sich warten, immer um 12 Uhr ist es soweit. Bayerische Schullandheimvorzugsküche. Na dann Prost. Mit Limo wenns geht. Aber Bier steht auch auf dem Diätplan. Geschmeckt hat alles, aber das „Wie?“ überlaße ich jedem einzelnen. Sie werden so fair sein und das Geheimnis nicht lüften. Das Erholungsangebot für gestreßte Schulbankdrücker reicht in unserem Domizil vom Tischtennistunier - mit einem 4:21 bin ich gleich in der ersten Runde im Graben gelandet, aber pßst, nicht weitersagen - bis hin zur Fußballhysterie im schlammigen Schneeboden. Grenzenlose Freiheit heißt das Schlagwort. Eigentlich gehört Schach ebenfalls zu Sport, aber mit dieser Behauptung hätte ich schnell den gesamten Haß der Sportlersippe auf mich gezogen. Nur echte Geistestyrannen riskieren solches Denken. Der Rest vertrieb sich die Freizeit mit Karten und den dazugehörigen Fluchwörtern oder eben mit Schnarchen, Schlafen, Schlummern...

Schimpfen ist der Hauptkommentar zur Pflichtwanderung. Eigentlich besteht überhaupt kein Anlaß dazu, wir alle haben die gewünschte Auseinandersetzung mit der Natur: Dreckige Hosen, naße Strümpfe, glitschige Schuhe und wild streikende Wadenmuskeln. Daß sich daraus Freude über das Abendmahl entwickelt, ist psychologisch ganz gut ausgetüftelt: Wiederaufbereitungseßen vom Mittag meine ich.

Falls mal Langeweile drückt, entwickeln auch sture Schülerköpfe wahre Intelligenzleistungen. Meistens dröckt sich das Ganze dann als Kißenschlacht, Bettzerlegen und Freundschaftßchlägern aus. Mal kein Notenstreß, mal keine Konkurrenzsituation, mal kein Krieg mit Lehrern, mal keine Konfrontation mit dem Alltagsleben, mal eine Entspannungsphase. In jedem Fall hält hier der Schälerhaufen zusammen, es gibt also immer grünes Licht für einen Lichtbildervortrag über eine versponnene Saharatour oder eine Nachtwanderung ins nächste Wirtshaus.

Und wenn uns dort die Aufpaßperson eben nicht aus der ständigen finanziellen Notstandslage heraußchießen will, dann müßen wir selber die hochprozentigen Kraftspender für den Heimmarsch berappen. Was sein muß, muß sein.

Schlummerzeit ist zwischen Geisterstunde und 7 Uhr geplant, wenn man mal von den Leseratten und den Humorvollen absieht. Gerade von ihnen kann jeder immer eine Menge Neuigkeiten über V.I.P. Lehrer erfahren. Die Nächte und fr&hen Morgen lohnten das Gähnen am anderen Tag.

Eine ganze Woche schleicht so jeder im Haus umher. Keine Sorgen, kein großer Seelenkummer, nur ein Leben in den Tag hinein. Immer mit guter Laune, faßt immer. Am Freitag dann heißt es dann wieder Kofferpacken, meiner bekommt ein Lederband umgeschnürt, ob er will oder nicht. Der Bus bringt uns wieder nach Hause, zurück in Richtung Rupprecht-Gymnasium, in Richtung Streß und Alltagsleben. Aber eine Hoffnung bleibt, daß die Bruchbude in Holzhausen noch lange, lange weiterlebt. Und neben den Hoffnungen ein meistens gedachtes Dankeschön an alle, die ihre Zeit und ihr Geld in dieses Mauerwerk gesteckt haben. Mir hat es Spaß gemacht. Meinem Koffer auch, und von dem Rest weiß ich es ebenfalls. Bis zum nächsten Jahr.

Andreas Busch (damals Klaße 10 c)